Monnards Konzertprogramme – Bezugspunkt Ravel

Maurice Ravel, Bolero (PB 5299), Breitkopf Urtext hrsg. von Jean-François Monnard

Hätten Sie es gewusst? Die Mehrzahl von Ravels Orchesterwerken war primär gar nicht für den Konzertsaal geschrieben. Vielmehr lag entweder eine szenische Konzeption vor oder sie sind Teil eines Gattungsgeflechts. Dabei sind Klavierzyklus, Orchesterstück und Ballettmusik auf vielfältige Weise miteinander verbunden, wie beispielsweise Valses nobles, Bolero oder Pavane. Auch Daniel Barenboim greift diese Idee auf und setzt vier Stücke – davon zwei ursprünglich für Klavier und eins als Ballett gedacht – des französischen Komponisten zu einem Werk zusammen.

Kontrastreiche Wechselwirkung

Maurice Ravel | Valses nobles et sentimentales
Maurice Ravel | Concerto pour piano et orchestre en sol


Maurice Ravel | Concerto pour la main gauche
Maurice Ravel | La Valse

Pianist Paul Wittgenstein.Honorarfrei lediglich fŸr AnkŸndigungen und Veršffentlichungen im Zusammenhang mit obiger BR-Sendung bei Nennung: Bild: BR/Joan Ripley. Andere Verwendungen nur nach entsprechender vorheriger schriftlicher Vereinbarung mit dem BR-Bildarchiv, Tel. 089 / 5900 10580, Fax 089 / 5900 10585, Mail Pressestelle.foto@br.de

Paul Wittgenstein (Foto: Courtesy of Joan Ripley)

Eine Kette von Walzern nach dem Beispiel Schuberts und ein Tanzen auf dem Vulkan umrahmen die beiden in zeitlicher Nachbarschaft entstandenen Klavierkonzerte Ravels. Die Ergebnisse sind verblüffend wegen ihrer völligen stilistischen Unterschiedlichkeit: Die Nacktheit der Linie sowohl bei den Valses nobles et sentimentales als auch beim G-dur Konzert für zwei Hände und das Gespenst vom Dies irae im Konzert für die linke Hand und die seismographische Wucht, die in La Valse tobt – die Katastrophe und den Untergang heraufbeschwörend. Im Grunde ist Ravels Klavierkonzert für die linke Hand eine Art „Totentanz“, ähnlich wie La Valse, als ob Ravel den berühmten Wiener Walzer „inmitten der Trümmer der Gegenwart“ hätte auferstehen lassen (Théodore Lindenlaub, Le Temps, 28.12.1920). Geschrieben wurde es für den hochbegabten Pianisten Paul Wittgenstein (1887–1961), der im Krieg den rechten Arm verlor. Der umschwärmte Sohn einer Familie, die als „die Krupps der Habsburger Monarchie“ galt, zahlte fürstlich, sicherte sich exklusive Aufführungsrechte und fühlte sich berechtigt, den musikalischen Text zu „verbessern“. Die Uraufführung mit Wittgenstein am Klavier fand am 5. Januar 1932 in Wien in Abwesenheit des Komponisten statt. Am Pult der Wiener Symphoniker stand Robert Heger. Ravel hörte Wittgensteins Interpretation des Werks erst im März, als er, auf Tournee mit Marguerite Long, in Wien weilte. Wittgenstein hatte den Komponisten zu sich nach Hause eingeladen, wo er ihm das Stück in Begleitung eines zweiten Flügels vortrug. Ravel zeigte sich keineswegs zufrieden über die Änderungen, die Wittgenstein an seiner Musik vorgenommen hatte. Nachdem er sich einem Auftritt des Pianisten in Paris widersetzte, entspann sich ein erhitzter Briefwechsel, in dem Wittgenstein forderte, die Interpreten dürften keine Sklaven sein. Ravels legendäre Antwort lautete: „Die Interpreten sind Sklaven!“ (Marguerite Long, Au piano avec Maurice Ravel, Paris : Julliard 1971, S. 87f.)

Spanische Symphonie

Maurice Ravel | Rapsodie espagnole
Maurice Ravel | Pavane pour une Infante défunte
Maurice Ravel | Alborada del gracioso, aus Miroirs (Orchesterfassung)
Maurice Ravel | Bolero

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D. Barenboim/West Eastern Divan (Foto: Luis Castilla)

Die Idee sämtliche spanischen Orchesterstücke von Ravel zusammenzuschweißen stammt von Daniel Barenboim. In ihrer Gesamtheit sind sie wie eine große spanische Symphonie. Zumal der Bolero am Schluss eine zusätzliche Dimension erfährt. Die Rapsodie bildet den Kopfsatz, die Pavane fungiert gewissermaßen als langsamer Satz, die Alborada del gracioso als Scherzo. Das passt wunderbar. Auf Gastspiel mit seinem Eastern-Diwan-Orchester in seiner Heimatstadt Buenos Aires in 2014 gab Barenboim kurz das Tempo an, brachte so die Maschine in Gang, legte dann aber den Taktstock beiseite und hörte sich den Bolero genüsslich an.

 

Titelbild: Maurice Ravel, Bolero (PB 5299), Breitkopf Urtext hrsg. von Jean-François Monnard
Jean-François Monnard

Jean-François Monnard

Jean-François Monnard geb. 1941, musikalische Ausbildung und Jurastudium in seiner Geburtsstadt Lausanne. Dirigieren bei Heinz Dressel und Theorie bei Krzysztof Penderecki an der Folkwang Hochschule in Essen (1968 Künstlerische Reifeprüfung). Monnards Theaterweg führte ihn von Kaiserslautern über Graz, Trier, Aachen, Wuppertal nach Osnabrück wo er als GMD wirkte. Zahlreiche Gasteinladungen auf dem Opernsektor und ausgedehnte Konzerttätigkeit. 1998 Wechsel an die Deutsche Oper Berlin, zunächst als Künstlerischer Betriebsdirektor, dann als Operndirektor.
2007 Rückkehr in die Schweiz, wo neue Aufgaben auf ihn warten: Stellv. Direktor des Festivals „Septembre Musical Montreux-Vevey“, Leiter des Bereichs Planning und Casting an der Genfer Oper und Musikalischer Berater beim Orchestre de la Suisse Romande. Seit 2013 zunehmend musikwissenschaftliche Tätigkeit, insbesondere als Herausgeber einer kritischen Ausgabe Ravels Orchesterwerke für den Verlag Breitkopf & Härtel (sechs Bände bisher erschienen: La Valse, Bolero, Rapsodie espagnole, Valses nobles et sentimentales, Bilder einer Ausstellung und Tombeau de Couperin) sowie als Chefredakteur der „Cahiers Ravel“, einer Veröffentlichung der Stiftung Maurice Ravel in Paris.