Monnards Konzertprogramme – Klassik oder Jazz?

Eine Frage, die sicherlich schon für viel Diskussion sorgte, auch wenn sie nicht auf die Beschäftigung mit Werken von Gershwin oder Bernstein gerichtet ist. In diesem Beitrag wird diese doch feine Grenze anhand zwei vielgestaltiger Programmideen näher beleuchtet.

Im Zuge der 20er Jahre

Alban Berg | Kammerkonzert für Klavier und Geige mit 13 Bläsern


Kurt Weill | Konzert für Violine und Blasorchester op. 12
George Gershwin | Rhapsody in Blue

In Berlin haben sie sich getroffen, George Gershwin und Kurt Weill, während einer Europareise des Amerikaners 1927/28. Mit Unterbrechungen hat Kurt Weill von 1918 bis zu seiner Emigration 1933 in Berlin gewohnt und gearbeitet. Biographisch sind sich beide Musiker ähnlich in dem Bestreben, als seriöser Komponist anerkannt zu werden. Sind sie es? Bestimmt, aber ganz ohne Klischees geht es doch nicht: in der Musik Gershwins deutet sich schon Weills nächste und künstlerisch erfolgreiche Station des Exils an. Es swingt und jazzt am Broadway!

A. Berg, Kammerkonzert

Bergs Kammerkonzert trägt autobiographische Züge. „Aller guten Dinge…“ steht als Motto am Anfang des Stückes. Diese “drei Dinge“ finden sich etwa in der Anzahl der Sätze, den drei Instrumentengattungen und den drei Grundmotiven, die den ersten Satz eröffnen und als Anagramm zu verstehen sind. Das Klavier spielt ArnolD SCHönBErG, die Geige Anton WEBErn und ein gedämpftes Horn als Stellvertreter der Bläser AlBAn BErG. Somit ist das Werk einem dreifachen Jubiläum verpflichtet: Schönbergs 50. Geburtstag, Bergs eigenen 40. Geburtstag, an dem es vollendet wurde (9. Februar 1925) und der 20jährigen Freundschaft, die Berg mit Schönberg und Webern verbindet. Das Stück in der seltenen Besetzung für Klavier, Violine und 13 Bläser, dem Theodor W. Adorno in einem Rundfunkvortrag nicht nur eine große Dichte, sondern „Unersättlichkeit“ [Theodor W. Adorno, Musikalische Schriften V, Berlin: suhrkamp taschenbuch, 1951] bescheinigte, ist für Boulez „eine Welt in immerwährender Expansion“ [Programmbroschüre Musikfest Berlin 2010]. Bergs Kammerkonzert wurde am 20. März 1927 unter der Leitung von Hermann Scherchen mit Eduard Steuermann am Klavier und Rudolf Kolisch an der Geige in Berlin und Weills Konzert am 11. Juni 1925 in Paris uraufgeführt. Bei der UA der Rhapsody in Blue am 12. Februar 1924 in New York mit Paul Whiteman und seiner Band saß Gershwin selbst am Klavier.

Classic meets Jazz

Bohuslav Martinu | Jazz-Suite für kleines Orchester H.172
Aaron Copland | Concerto für Klarinette und Streichorchester mit Harfe und Klavier


Leonard Bernstein | Prelude, Fugue and Riffs
Erwin Schulhoff | Jazz-Suite für Kammerorchester Wv 58

Der Jazz wurde in New Orleans geboren. Mit der Eisenbahn kamen viele Afroamerikaner aus dem Süden nach Chicago. Sie bestiegen die State Line der Illinois Cental Railroad, die Chicago mit New Orleans verband, und reisten aus Louisiana, Georgia, Alabama und Mississippi gen Norden. Ihre Musik reiste mit ihnen, um sich dann wie ein Flächenbrand über die ganzen Metropolen der USA auszubreiten. Blues und Jazz wurden zur amerikanischen Musik. Es war eine Musik des Geistes, spirituell, die innerhalb kürzester Zeit den Atlantik überquerte. Sie lief oft im Radio und faszinierte die jungen Komponisten in Europa.

Erwin Schulhoff hatte sich schon früh von den musikalischen Strömungen seiner tschechischen Heimat abgerückt, als er sich im Berlin der Goldenen Zwanziger für alle radikalen Richtungen der Avantgarde, für Dadaismus und Jazz interessierte. Später spielte er im Jazzorchester des Prager Theaters. Nach Ausbruch des Krieges 1939 konnte er noch unter einem Pseudonym als Jazz-Pianist irgendwie überleben, bevor er 1942 in einem Internierungslager an den Folgen von Unterernährung und Erschöpfung starb.

Martinu kam 1923 nach Paris und wurde in den Jahren 1927 bis 1929 stark vom Jazz beeinflusst. Mehrere Kompositionen wie Le Jazz oder die Jazz-Suite verraten schon im Titel ihre Herkunft. Mit dem Ballett La Revue de cuisine hat er eine echte Jazzkomposition geschaffen, die noch heute spontan und frisch klingt. Mit Charleston, versteht sich!

L. Bernstein und B. Goodman in der Carnegie Hall (W. P. Gottlieb Collection, Library of Congress, PD)

Im Klarinettenkonzert von Aaron Copland fehlt es ebenso wenig an Jazz-Anklängen wie an Elementen nord-und südamerikanischer Volksmusik. Und für einen Klarinettisten wie Benny Goodman schreibt man auch kein echtes „klassisches“ Konzert.

„Jazz ist ein weiter Begriff“, so Bernstein in einer TV-Sendung vom 16. Oktober 1955. „Er umfasst eine Vielzahl von Lautgebilden vom frühesten Blues bis zur Dixieland, Charleston, Swing, Boogie-Woogie, Crazy Bop und Cool Bop, Mambo und vielen anderen mehr. All das ist Jazz, den ich liebe wegen seiner ursprünglichen Art des emotionalen Ausdrucks, wo nichts ganz traurig oder ganz glücklich ist.“ Nachdem Bernstein dann auch die für den Jazz typische Harmonik und Band-Besetzung näher vorgestellt hatte, verabschiedete er sich mit einem jazzinspirierten Werk, das er schon lange in der Schublade liegen hatte. 1949 war Prelude, Fugue and Riffs im Auftrag des Jazz-Klarinettisten Woody Herman entstanden. Doch statt Herman übernahm im Fernsehstudio Benny Goodman die Uraufführung dieses Werks, das seitdem Kultstatus besitzt. Ein Geniestreich zwischen polyrhythmischen Strukturen à la Stravinsky und Bigband-Sound!

Jean-François Monnard

Jean-François Monnard

Jean-François Monnard geb. 1941, musikalische Ausbildung und Jurastudium in seiner Geburtsstadt Lausanne. Dirigieren bei Heinz Dressel und Theorie bei Krzysztof Penderecki an der Folkwang Hochschule in Essen (1968 Künstlerische Reifeprüfung). Monnards Theaterweg führte ihn von Kaiserslautern über Graz, Trier, Aachen, Wuppertal nach Osnabrück wo er als GMD wirkte. Zahlreiche Gasteinladungen auf dem Opernsektor und ausgedehnte Konzerttätigkeit. 1998 Wechsel an die Deutsche Oper Berlin, zunächst als Künstlerischer Betriebsdirektor, dann als Operndirektor.
2007 Rückkehr in die Schweiz, wo neue Aufgaben auf ihn warten: Stellv. Direktor des Festivals „Septembre Musical Montreux-Vevey“, Leiter des Bereichs Planning und Casting an der Genfer Oper und Musikalischer Berater beim Orchestre de la Suisse Romande. Seit 2013 zunehmend musikwissenschaftliche Tätigkeit, insbesondere als Herausgeber einer kritischen Ausgabe Ravels Orchesterwerke für den Verlag Breitkopf & Härtel (sechs Bände bisher erschienen: La Valse, Bolero, Rapsodie espagnole, Valses nobles et sentimentales, Bilder einer Ausstellung und Tombeau de Couperin) sowie als Chefredakteur der „Cahiers Ravel“, einer Veröffentlichung der Stiftung Maurice Ravel in Paris.