Monnards Konzertprogramme – Erinnerung und Abschied
Abschied und Erinnerung sind vielgestaltige Erscheinungen innerhalb der menschlichen Existenz: Sie können von Trauer oder Freude, Schmerz oder Glück geprägt sein. Beides kann schwerfallen oder einem ganz einfach erscheinen. Musik macht es möglich, diesen Facettenreichtum darzustellen, zu fassen, was nicht immer mit Worten ausgedrückt werden kann. Die hier zusammengestellten Werke reflektieren in diesem Sinne persönliche Erlebnisse und Empfindungen der Komponisten.
Abschied
Dunkel ist das Leben, ist der Tod.
Ferruccio Busoni | Berceuse élégiaque op. 42. Des Mannes Wiegenlied am Sarge seiner Mutter
Gustav Mahler | Das Lied von der Erde. Sinfonie für eine Alt- und eine Tenorstimme und großes Orchester
Wir wissen, dass Mahler seiner Gattin in den letzten beiden Jahren seines Lebens sehr oft aus dem Lied von der Erde vorspielte. Es war ihm jedoch nicht vergönnt, das Werk noch selber zur Uraufführung zu bringen. Die Symphonie, als Abschied von der Welt komponiert, erklang zum ersten Male ein halbes Jahr nach seinem Tode. Zuvor hatten ihn drei Schicksalsschläge hart getroffen: der Rücktritt als Direktor der Wiener Hofoper, der Tod der älteren Tochter Maria mit fünf Jahren an Diphterie und die Diagnose eines Herzleidens, das schließlich zu seinem Tod führte. „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“ – die Verse von Li Tai-Po im ersten Satz deuten es an. Und der letzte Satz – der Abschied – dauert etwa so lang wie die vorausgehenden fünf Sätze zusammen. Nach der Uraufführung in München, schrieb Anton Webern an Alban Berg (23. November 1911): „Wie ichs Dir schon sagte, es ist so wie das Vorbeiziehen des Lebens, besser des Gelebten in der Seele des Sterbenden. Das Kunstwerk verdichtet, entmaterialisiert; das Tatsächliche verflüchtigt, die Idee bleibt; so sind diese Lieder.“
In Busonis Berceuse élégiaque gerät das unsicher gewordene Fundament der Tonalität ins Wanken, man verspürt den schwankenden Boden am Grab der Mutter. Ein Einstieg zum Lied von der Erde – vom „Jammer der Erde“ wie es zunächst hieß. Noch wenige Monate vor seinem Tod, beim letzten Auftritt als Dirigent, hatte Mahler selbst die knapp zehnminütige Berceuse in New York uraufgeführt.
In Memoriam
Igor Stravinsky | Symphonies d’instruments à vent à la mémoire de Claude Debussy. Version originale de 1920
Pierre Boulez | Rituel – in memoriam Bruno Maderna
Camille Saint-Saëns – Symphonie No 3 avec orgue ut mineur op. 78 à la mémoire de Franz Liszt
Strawinskys kurze Symphonien für Blasinstrumente sorgen für die Grundierung, ein flächig-atmosphärisches Patchwork, dessen ineinander verwobene Skalen synkopisch pulsieren, bis sie zum choralähnlichen Schluss in ein statisches Orgelregister münden. „Eine Zeremonie der Erinnerung“ nannte Pierre Boulez sein Rituel, das nach dem Tod des italienischen Komponisten Bruno Maderna (1920–1973) entstand. Wie Maderna es in verschiedenen Stücken vorsah, so teilt auch Boulez das Orchester in insgesamt acht räumlich voneinander getrennte Gruppen, die in gewissen Grenzen eigendynamisch spielen, aber in der übergreifenden Form des Stücks zusammenkommen (vgl. Jahresprogramm des SWR Sinfonieorchesters 2012/13).
In formaler Hinsicht erscheint die Orgel-Symphonie von Saint-Saëns als ein monothematisches Werk, dessen Grundgedanke eine freie Abwandlung des gregorianischen Dies Irae darstellt; ein Thema, das Liszt in seinem Totentanz mehreren Variationen zugrunde legt. Aus der Wahl dieser Thematik, die in allen vier Sätzen auftaucht, würde man leicht vermuten, es handle sich dabei um ein instrumentales Requiem. Keineswegs. Die Symphonie entstand gegen Ende 1885 als Auftragswerk der Philharmonischen Gesellschaft in London und war von vornherein als ein Zeichen der Verehrung für Franz Liszt gedacht. Liszt konnte aber der Uraufführung, die am 19. Mai 1886 unter Leitung des Komponisten stattfand, nicht mehr beiwohnen und starb kurz darauf. Da Saint-Saëns ihm jedoch während seines letzten Aufenthalts in Paris im März manches aus der Skizze auf dem Klavier vorspielen konnte, erschien die Partitur im Druck mit dem Zusatz „dem Andenken an Franz Liszt gewidmet“.