Monnards Konzertprogramme – Anziehungskraft der Nacht
Die Nacht hat von jeher ein faszinierendes Moment, sie verbindet so viele Gegensätze. Ist sie nicht allein schon der stärkste Kontrast zum Tag, kann sie nicht romantisch, aber auch unheimlich sein? Sie ist überall und doch ein einziger Ort des Zaubers. Sie bietet Erholung vom Tag und der Hektik, aber sie kann auch schnell gefährlich werden. Macht dies die Anziehungskraft der Nacht aus, die so viele Künste inspiriert?
Hymne an die Nacht
Arnold Schönberg | Verklärte Nacht op. 4
Richard Wagner | 2. Akt aus Tristan und Isolde
„Muss immer der Morgen wiederkommen? Endet nie des Irdischen Gewalt? Unselige Geschäftigkeit verzehrt den himmlischen Anflug der Nacht. Wird nie der Liebe geheimes Opfer ewig brennen? Zugemessen wird dem Lichte seiner Zeit; aber zeitlos und raumlos ist der Nacht Herrschaft.“ Die deutsche Lyrik der Romantik hat die Nacht zum Gott gemacht, den Traum geheiligt – wie Novalis (1800) zu Beginn der zweiten „Hymne an die Nacht“.
Inspiriert von seiner Bekanntschaft mit Mathilde Zemlinsky, der Schwester seines Freundes und Lehrers Alexander Zemlinsky, komponierte Schönberg 1899 das Streichsextett Verklärte Nacht nach einem Gedicht von Richard Dehmel. Das Werk wurde in Abwesenheit Schönbergs, der in Berlin beschäftigt war, am 18. März 1902 im Wiener Musikverein vom Rosé-Quartett uraufgeführt. Verstärkt wurde es durch Franz Jelinek an der 2. Bratsche und Franz Schmidt am 2. Cello (Franz Schmidt war nicht nur Komponist, sondern auch Cellist der Wiener Philharmoniker, später sogar Solocellist im Hofopernorchester, dem heutigen Orchester der Wiener Staatsoper). In den Jahren 1917 und 1943 folgten Bearbeitungen für Streichorchester. In seiner Orchestrierung hat Schönberg es geschafft, die Dimensionen der Ekstase deutlich zu vergrößern, ohne die Zerbrechlichkeit an bestimmten Stellen zu verlieren.
Erwähnenswert ist, nebenbei, eine Fassung für Klaviertrio, die der Komponist und Schönberg Schüler Eduard Steuermann (1892–1964) realisierte.
Verklärte Nacht hat einen inhaltlichen Berührungspunkt mit Tristan und Isolde. In beiden Fällen handelt es sich um Stücke, die sich auf erzählende literarische Gattungen beziehen. Im zweiten Akt preisen Tristan und Isolde die Nacht, die ihnen zum Symbol des Todes wird. Da wo Novalis‘ poetische Metapher aufhört – „Wir sinken auf der Nacht Altar“ – enden die stürmischen Aufschwünge des Gesangs noch lange nicht – „O sink hernieder, Nacht der Liebe“.
Summertime
Felix Mendelssohn-Bartholdy | Ouvertüre zu Ein Sommernachtstraum op. 61
Georg Friedrich Haas | Traum in des Sommers Nacht. Hommage an Felix Mendelssohn-Bartholdy für Orchester
Alfred Schnittke | (K)ein Sommernachtstraum
Michael Tippett | Ritual Dances aus The Midsummer Marriage
Der Titel des neuen Werks (2009) von Georg Friedrich Haas verweist natürlich auf Felix Mendelssohn-Bartholdy, grenzt sich aber zugleich von ihm ab. Er zielt ab auf den offensichtlichen Unterschied zwischen einer Sommernacht und des Sommers Nacht – und verweist zugleich auf eine Konstante in Haas’ Schaffen: die Nacht. Von Haas gibt es nämlich mehrere Stücke, die von den Interpreten in völliger Dunkelheit zu spielen sind – als Tribut an seine Liebe zur Unschärfe und der daraus resultierenden Sensibilität der Wahrnehmung; die Nacht als ein Zustand gesteigerter sinnlicher Empfindsamkeit und verschärfter Geistestätigkeit. Bekanntlich geht es dem Komponisten in seiner Kammeroper Nacht nach Friedrich Hölderlin um „die Nacht der Seele“: „Der Begriff ‚Nacht‘ ist für mich nicht mit romantisierenden Vorstellungen verbunden, sondern mit Realitätsverlust und Hoffnungslosigkeit, mit geistiger ‚Um-Nachtung‘, mit dem Verlust von Utopien“ (aus der Programmvorschau Lucerne Festival im Sommer 2011) – veranschaulicht durch den Hölderlin-Satz: „Es giebt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseyns, wo uns ist, als hätten wir alles verloren, eine Nacht unsrer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holtz uns leuchtet.“ (aus: Friedrich Hölderlin, Hyperion oder Der Eremit aus Griechenland, Kapitel 12, 1797–1799).
In seiner Werkeinführung schreibt Schnittke über sein Stück (K)ein Sommernachstraum: Es „soll in einem Konzert mit Shakespeare-Vertonungen gespielt werden, hat aber keine direkte Beziehung zu Shakespeare“. Und fügt noch hinzu, „dass alle Antiquitäten in diesem Stück von mir nicht gestohlen, sondern gefälscht wurden“.
Mit Tippett leuchten auf einmal die Sommernächte hell auf. Den letzten Tanz aus seiner Konzertsuite nennt er: Fire in Summer.