Gemeinsam Feiern und Singen – das Interreligiöse Liederbuch „Trimum“

  • von Sebastian Posse-Schöning
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Trimum Sänger

Aus Anlass der Veröffentlichung des Interreligiösen Liederbuchs Trimum bei Breitkopf & Härtel unterhielt sich die Herausgeberin Bettina Strübel mit uns über die Voraussetzungen und Herausforderungen, aber auch Chancen und Ziele des interreligiösen Musizierens. Dabei erzählte sie auch von der Entstehung und den Besonderheiten dieser Liedersammlung.

Pünktlich zur Chormusik-Messe chor.com vom 14. bis 17. September in Dortmund erscheint das Interreligiöse Liederbuch Trimum bei Breitkopf & Härtel. Die Herausgeberin Bettina Strübel, die auch den Chor des gleichnamigen interreligiösen Projekts TRIMUM leitet, wird das Liederbuch dort in einer Reading Session vorstellen. Dabei wird sie von den Musikern und Musikerinnen Ahmet Gül, Saad Thamir und Rita William unterstützt. Chormusik-Lektor Sebastian Posse traf sich mit der ausgebildeten Kantorin aus diesem Anlass zu einem Interview.

 

Sebastian Posse-Schöning: Frau Strübel, wie lange sind Sie schon für das interreligiöse Projekt TRIMUM tätig? Wie kam es zu der Gründung dieser Initiative für kulturellen Austausch zwischen Juden, Christen und Muslimen?

Bettina Strübel: Das TRIMUM-Projekt begann 2012 als interreligiöses Musikvermittlungsprojekt unter dem Dach der Internationalen Bachakademie Stuttgart auf eine Initiative von Bernhard König. Es war ursprünglich auf drei Jahre angelegt- daher der Name TRIMUM (lateinisch: „dreijährig“). Ich selber bin seit 2014 mit dabei und seit 2015 leitend verantwortlich für das Chorlabor. 2015 wurde zur Verstetigung „TRIMUM e.V.“ gegründet. Seitdem hat sich TRIMUM ständig weiterentwickelt: es gab große interreligiöse Konzerte bzw. Thementage zu den Kirchentagen in Stuttgart und Berlin, es finden dezentrale Kooperationsprojekte in verschiedenen Städten statt, das Chorlabor trifft sich einmal im Monat. Vor allem in diesen ganztägigen Treffen des Chorlabors wurde in den letzten zwei Jahren das Liederbuch weiterentwickelt: wir haben die Lieder einstudiert und die Texte aufgeschrieben, übersetzt und transkribiert, wir haben über Inhalte gesprochen, verschiedene Aufführungsmöglichkeiten ausprobiert und immer wieder auch über die Auswahl der Lieder diskutiert.

 

SP: Gab es von Anfang an eine große Zustimmung von Seiten der drei angesprochenen Religionen, oder mussten Sie zunächst Überzeugungsarbeit leisten?

BS: Diese Frage kann ich leider nicht wirklich beantworten, da ich selber erst im Jahr drei zu TRIMUM gestoßen bin. Im Chorlabor, welches sich 2013 formiert hat, haben sich von Anfang an jüdische, christliche und muslimische Laiensängerinnen und -sänger getroffen, um mit wechselnden Referenten ein religionsübergreifendes Repertoire an tradierten Liedern und Gesängen kennenzulernen und einzustudieren.

 

SP: Wie kann man sich die Probenarbeit mit einem interreligiösen und interkulturellen Chor vorstellen, in dem die Sängerinnen und Sänger sicherlich jeweils sehr verschiedene Vorstellungen und Voraussetzungen mitbringen?

BS: Auf jeden Fall sehr unterschiedlich zu einer klassischen Chorprobe! Je nach Referent oder auch Musikstil spielt z.B. die orale Tradition eine essentielle Rolle. Dass bedeutet unter anderem auch, dass die Noten eigentlich nur eine marginale Rolle spielen und lediglich der Orientierung dienen. Arabische und türkische Musik ist zudem einstimmig, sodass das „Hauptgeschäft“ einer klassischen Chorprobe, nämlich das Einstudieren der Mehrstimmigkeit, oft gar nicht vorkommt. Dafür gibt es viel anderes zu entdecken: wunderbare Melodien und Texte, nicht notierbare Verzierungen der Melodie, ungewohnte Intervallschritte bei orientalischen Tonarten etc. Auch spielt das Gespräch über die Inhalte der Lieder eine wichtige Rolle im Chorlabor.

 

SP: Wie haben Sie ausgewählt, welche Stücke in das Interreligiöse Liederbuch aufgenommen werden und wie muss man sich den Abstimmungsprozess dazu vorstellen?

Trimum – Interreligiöses Liederbuch

Trimum – Interreligiöses Liederbuch

BS: Die Lieder haben auf sehr unterschiedlichen Wegen ihren Weg ins Liederbuch gefunden. Die meisten Lieder sind bei TRIMUM-Konzerten und Auftritten erprobt worden. Sehr wichtig war uns auch eine kulturell bunte Mischung, die sich im Register nach Herkunft widerspiegelt. Hier finden sich originär (arabisch-)christliche, jüdische und arabisch-muslimische bzw. türkisch-muslimische Lieder. Hinzu kommen bearbeitete traditionelle Lieder aus den drei Religionen bzw. trialogische Neukompositionen, die im Rahmen von TRIMUM entstanden sind.

 

 

 

SP: In der endgültigen Auswahl sind alle drei Religionen und die damit verbunden Kulturen in gleichem Maße vertreten – wie wichtig war Ihnen die Ausgewogenheit?

BS: Sehr wichtig! Wobei westliche christliche Lieder eigentlich nur in Form von Bearbeitungen vertreten sind. So dürften die meisten Lieder des Interreligiösen Liederbuchs „normalen“ Chorsängerinnen und -sängern unbekannt sein, sowohl von der Sprache (arabisch, türkisch, hebräisch) als auch von der Melodie her. Wenn im westlichen Zusammenhang bekannte Lieder auftauchen, wie z.B. „Tochter Zion“, dann existiert eine musikalische Brücke in eine andere Religion, in diesem Fall das ins Judentum mit dem berühmten Chanukka-Lied „Hawa narima“, welches auf die gleiche Melodie gesungen wird. Oder der Choral „Großer Gott, wir loben dich“, dessen erste Strophe wir ins Hebräische, Arabische und Türkische übersetzt haben. Allein die Erweiterung des Sprachraums öffnet hier den Horizont und lädt dazu ein, sich in gemischt religiösen Gruppen über Glaubensinhalte auszutauschen. Nochmal zurück zu Ihrer Frage: Mit der Ausgewogenheit ist das natürlich so eine Sache, denn immer wieder haben wir im Chorlabor festgestellt, wie viele Strömungen es im Judentum, Christentum und  Islam gibt. Und diese Strömungen spiegeln sich auch in unterschiedlichen Sing- und Musiziertraditionen. Wirklich ausgewogen kann dies in einem 80-seitigen Liederbuch nicht dargestellt werden.

Das Liederbuch ist eigentlich nur ein Vorgeschmack auf eine unglaubliche Fülle unbekannter Lieder aus anderen Kulturen und Religionen, der hoffentlich Lust auf mehr macht.

SP: Wo sehen Sie die größten Anwendungsmöglichkeiten für das Liederbuch Trimum? Kann das Singen und Musizieren daraus im Prinzip von jedem Chorleiter und Kantor angeleitet werden, oder bedarf es dafür spezieller Vorkenntnisse?

BS: Prinzipiell können alle Lieder erst mal so gesungen werden, wie sie im Heft stehen. Aber ganz klar ist, dass dies nicht immer der Musizierpraxis in der jeweiligen Kultur entspricht. So soll das Liederbuch auch dazu einladen, vor Ort in Kontakt mit Musikern, egal ob Profi oder Laie, anderer Religionen und Kulturen zu treten. Z.B. sind viele der Ilâhi (vertonte religiöse Gedichte, Anm. d. Red.) in der türkischen Community sehr bekannt. Das Liederbuch regt an, auch einfach einmal nur zuzuhören. Bei einem Ilâhi gibt es beispielsweise eine original türkische Fassung und als Gegensatz dazu eine 4-stimmige westliche Adaption der Melodie auf Deutsch. Hier kann wunderbar im Wechsel gesungen werden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es zu den meisten Liedern kurze Erklärungen und auch Aufführungshinweise gibt, die helfen mögen, kulturelle Distanzen zu überbrücken und auch kulturelle Besonderheiten hervorzuheben. Und natürlich gibt es zu allen fremdsprachigen Liedern möglichst wortgetreue Übersetzungen, die oft eigens für das Liederbuch entstanden sind.

 

SP: Wie festgelegt sind die Fassungen und Arrangements der Lieder? Gibt es Variationsmöglichkeiten für bestimme Anlässe und Besetzungen?

Trimum Kol ha'olam kulo

Kol ha’olam kulo (S. 9 aus ChB 5336)

BS: Da in der orientalischen Musikkultur normalerweise gar keine Noten aufgeschrieben werden, sondern das Hören und Improvisieren eine wesentliche Rolle spielt, ist der Notentext im Liederheft oft nur eine vieler möglichen Fassungen. Oder auch eine Orientierungslinie der Melodie, die weiter verziert werden kann bzw. soll. In TRIMUM-Konzerten und Aufführungen haben wir immer wieder neue Arrangements und Improvisationen um die Lieder herum entwickelt, die sich teilweise in den Aufführungshinweisen widerspiegeln. So ist es auf jeden Fall erwünscht, dass die Nutzer des Liederbuchs weiter kreativ mit dem Material umgehen.

 

 

SP: Sehen Sie das Liederbuch als abgeschlossene Sammlung oder mehr als einen Ausgangspunkt, von dem aus weitere Zusammenstellungen möglich sind?

BS: Das Liederbuch ist eigentlich nur ein Vorgeschmack auf eine unglaubliche Fülle unbekannter Lieder aus anderen Kulturen und Religionen, der hoffentlich Lust auf mehr macht. Für mich waren beispielsweise die unglaublich schönen unbekannten Melodien der christlich-arabischen Lieder eine wahre Entdeckung. Es muss nicht immer neues geistliches Lied sein! Ich würde mir wünschen, dass diese Lieder teilweise auch in zukünftige Gesangbücher übernommen werden. Und natürlich sind weitere Zusammenstellungen möglich. Viele TRIMUM-Referenten haben weitere Lieder in ihrem Kopf, Herzen und auch Arbeitsordner und in der Praxis kommen ständig neue Lieder hinzu. Allerdings ist es dann schon nochmal ein ganz anderer, intensiver Arbeitsprozess, die Lieder für den Druck zu notieren, übersetzen, transkribieren und mit begleitenden Informationen zu versehen.

Für mich waren beispielsweise die unglaublich schönen unbekannten Melodien der christlich-arabischen Lieder eine wahre Entdeckung.

SP: Glauben Sie, dass das Liederbuch einen Beitrag zum Austausch und zur Verständigung der drei abrahamitischen Religionen leisten kann?

BS: Auf jeden Fall! Oft sind interreligiöse Veranstaltungen reine Gesprächsveranstaltungen. Neben dem intellektuellen Austausch fehlt das sinnliche Moment. Das gemeinsame Singen kann beides! So kann das Liederbuch dazu beitragen, dass interreligiöse Begegnungen „musikalischer“ werden und dass alle Beteiligten durch das gemeinsame Singen und Aufeinander-Hören den Reichtum der Religionen und Kulturen ganz unmittelbar erfahren können.

 

Bettina StrübelBettina Strübel studierte in Köln und Hamburg Kirchenmusik und Orgel. 1995 bis 2011 wirkte sie auf einer A-Stelle als Kantorin in Leichlingen im Rheinland. Seit 2011 lebt sie in Frankfurt am Main. Hier gründete sie gemeinsam mit dem jüdischen Kantor Daniel Kempin den Interreligiösen Chor Frankfurt (IRCF), der jährlich zwei Tehillim-Psalmen-Programme zur Aufführung bringt. In jedem Projekt wird auch eine inhaltliche und musikalische Brücke zum Islam geschlagen. In Stuttgart leitet Bettina Strübel das „Chorlabor“ des interreligiösen TRIMUM-Projektes und ist verantwortlich für die Herausgabe des Interreligiösen Liederbuchs. Seit August 2017 ist sie Dekanatskantorin in Offenbach.

www.bettina-struebel.de | www.trimum.de

 

Titelbild: © Holger Schneider (Internationale Bachakademie Stuttgart)

 

Sebastian Posse-Schöning

Sebastian Posse-Schöning

Geboren 1990 in Sindelfingen, aufgewachsen in Oldenburg. Studium der Musikwissenschaft und Anglistik an der Universität Freiburg und der Universität Leipzig. Seit 2015 zunächst als Praktikant und Volontär, anschließend als Lektor für Chormusik bei Breitkopf & Härtel tätig.